Claudia Dölling und Anja Krämer sind Grafikdesignerinnen, Schriftliebhaberinnen und Gründerinnen des Studios »Sisters of Design« in Halle (Saale). Seit 15 Jahren prägen sie mit ihrer Gestaltung für Kultur, Bildung und Wissenschaft die Stadtlandschaft nicht nur von Halle. Erst in jüngster Zeit haben sie begonnen, tiefer in digitale Welten wie Animation, Videoinstallation und VR einzutauchen. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht dabei immer die Typografie als Material.
vom 20.12.2018 | Quelle
Claudia Dölling und Anja Krämer und schön gestaltete Typografie sind keine unbekannte Kombination. Seit fast zwei Jahrzehnten schärfen die beiden Frauen als »Sisters of Design« vor allem in Halle die visuelle Wahrnehmung von zeitgenössischer Kunst und Wissenschaft. Ihre künstlerische Prägung erhielten sie an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, einer vom Bauhaus geprägten Kunstschule mit einer hervorragenden Grundlagenausbildung. Bei den »Sisters of Design« geht es in allen Entwürfen immer um Formen, Stimmungen und Wahrnehmungsprozesse. Zum 100-jährigen Bauhausjubiläum beauftragte die Kunststiftung Sachsen-Anhalt die beiden Grafikerinnen mit einer Medieninstallation, die der Frage nachgeht, wie die Bauhäusler mit Typografie umgegangen wären, wenn sie unsere heutigen technischen Möglichkeiten gehabt hätten, und welche virtuellen Räume sie erschaffen würden. In einer 360°-Projektion in der Kunststiftung Sachsen-Anhalt soll der Betrachter direkt in die Gedankenwelt der Bauhauskünstler eintreten können.
MB: Wann seid ihr zum ersten Mal mit dem Bauhaus in Kontakt gekommen?
AK: Meine Großeltern wohnten in Weimar in der Straße »Am Horn« mit Blick auf Goethes Gartenhaus. Wir spazierten damals oft am »Haus am Horn« vorbei. Mein Opa, einst selbst Architekt beim Stadtplanungsamt Weimar, erzählte mir vom Musterhaus und der Idee des modernen Bauens. Was an diesem Haus so besonders war, habe ich damals nicht verstanden, da ich in einem Neubaublock aufwuchs und mir das alles so normal erschien. Goethes Gartenhaus oder auch das Haus meiner Großeltern mit seinem Spitzdach und der steilen Holztreppe fand ich viel interessanter. Erst später wurde mir klar, dass der Plattenbau, in dem ich wohnte, letztendlich eine Fortführung dieser Moderne-Idee war.
CD: Mein vermutlich erster Kontakt mit dem Bauhausuniversum war der Schreibtisch meiner Eltern. Der Bauhausschüler Franz Ehrlich hatte für die Deutschen Werkstätten Hellerau die Serie 602 entworfen, und meine Eltern besaßen davon den Kleiderschrank und den Schreibtisch. Als die Wohnung saniert werden sollte und meine Eltern umzogen, ging der Schreibtisch leider verloren. Jahre später suchte ich während des Diploms in Halle einen Schreibtisch und stieß bei einer Wohnungsauflösung einer Burgabsolventin auf genau so ein Modell. Ihr Großvater, der die Wohnung für sie auflöste, erzählte mir, dass er selbst daran seine Diplomarbeit verfasst hatte. Damals wusste ich noch nichts von der Verbindung zum Bauhaus – ich fand den Schreibtisch einfach nur schön und bin heute sehr froh, dass er auf diese Weise zu mir zurückgefunden hat.
MB: Seid ihr auch mal nach Dessau gereist?
CD: Ja, klar. Mehrmals. Besonders an die feierliche Wiedereröffnung der Meisterhäuser Gropius und Moholy-Nagy 2014 kann ich mich gut erinnern. Die persönliche Begegnung mit Kathy und Conrad Feininger, dem Enkel von Lyonel Feininger, war ein schöner Moment. Ich hoffe sehr, die beiden im Jubiläumsjahr wieder zu treffen.
AK: Einige Bauhäusler wie Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks sind ja damals von Weimar aus nicht nach Dessau, sondern nach Halle an die Burg Giebichenstein gegangen. Dort haben auch wir beide studiert. Im Studium begann dann auch die Auseinandersetzung mit der Bauhauszeit – mit László Moholy-Nagy, seinen Fotogrammen und natürlich dem Licht-Raum-Modulator. Der hatte zwar nichts mit Typografie zu tun, aber dort ging es – wie bei unserem Projekt – um den Versuch, den Besucher mit dynamischen Lichteffekten in den Raum und in die Arbeit einzubeziehen.
MB: Was fasziniert euch an der typografischen Sprache des Bauhauses?
CD: Der mutige Umgang mit Bild und Text ist schon beeindruckend. Da ist überhaupt keine Angst, einzelne Elemente oder Buchstaben herauszulösen, zu drehen und auch mal richtig groß zu zeigen. Das aktiviert einen sofort, man muss einfach hinschauen. Mich haben im Studium die russischen Konstruktivisten sehr interessiert und speziell die elementare Typografie von EI Lissitzky. Seitdem bin ich fasziniert von der kraftvollen Gestaltung dieser Zeit, der Klarheit der Kompositionen und der Art, wie mit Weißräumen umgegangen wird.
AK: Gerade die Freiräume helfen beim schnellen Erfassen der Inhalte enorm und Klarheit war ein Ziel der sogenannten »Neuen Typografie«. Moholy-Nagy bringt es in seinem Bauhausbuch auf den Punkt, wenn er schreibt: »Die Typografie ist ein Instrument der Mitteilung. Sie muss eine klare Mitteilung in der eindringlichsten Form sein.«
MB: Wie entstand die Idee zu dem sehr ungewöhnlichen Projekt Typo Utopia?
CD: Natürlich denkt man bei »Bauhaus« sofort an Möbelstücke und Architektur. Wir Grafikdesignerinnen interessierten uns aber besonders für die collageartige Gestaltung und den für damalige Verhältnisse radikalen Umgang mit Typografie. Wir lieben das Spiel mit den Buchstaben, die Auseinandersetzung mit Typografie. Als wir gefragt wurden, ob wir uns vorstellen könnten, anlässlich des Bauhaus-Jubiläums eine freie, typografische Arbeit zu entwickeln, war uns ziemlich schnell klar, dass wir dazu in den Raum gehen wollen.
AK: Bei der Gestaltung verschiedenster Drucksachen beschäftigen wir uns tagtäglich mit Typografie und konnten auch schon einige Experimente mit Schrift im Raum verwirklichen – wie zum Beispiel die Gartenmauer der Kunststiftung. Schon seit längerem spielten wir mit dem Gedanken, Schrift und Raum mittels Projektion zu verbinden; im Zusammenhang mit dem Bauhaus hat das nun einen Sinn. Der freie Umgang mit typografischem Material ist heute völlig normal geworden. Buchstaben zu verändern, mit den Formen zu spielen, ist so einfach wie nie zuvor. Alles ist digital, virtuell, multimedial und bewegt. Auch Buchstaben lassen sich mittlerweile dreidimensional im Raum bewegen. Man fragt sich, wie die Bauhäusler mit Typografie umgegangen wären, hätten sie unsere technischen Möglichkeiten gehabt. Welche virtuellen Räume hätten sie erschaffen? Es erschien uns daher ganz logisch, eine bewegte Arbeit zu entwickeln und den Raum durch eine Rundum-Projektion auf Wände und Boden zu bespielen. Der Betrachter steht also direkt in der Arbeit, und wir hoffen, dies ermöglicht ein tiefes Eintauchen in die Gedankenwelt der Bauhäusler.
CD: Ausgangspunkt für diese Arbeit bilden ausgewählte Zitate von Bauhäuslern, welche wir typografisch inszenieren werden. Die Inszenierung wird dabei auf den jeweiligen Inhalt des Zitats Bezug nehmen. So entsteht eine Hommage sowohl an die Ideen der Bauhäusler als auch an deren typografische Formensprache. Wir möchten die Wörter und Buchstaben mit heutigen technischen Möglichkeiten in Bewegung setzen. Was sich bewegt, verändert sich und kann zu etwas Neuem werden. Und Neues zu schaffen, war immer das erklärte Ziel am Bauhaus. Wir freuen uns auf dieses typo-utopische Experiment!